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"Wir wollen hier auf keinen Fall Stillstand haben"

Die Unterschrift ist erfolgt, die Tinte trocken – Cheftrainer Timo Schultz hat seinen Vertrag am Millerntor verlängert. Wir haben uns mit Schulle nicht nur über die Vertragsverlängerung, sondern auch über seine bisherige Zeit am Millerntor und über die Aufgaben in kommenden Wochen und Monaten unterhalten.

Moin Schulle, zu Beginn erst einmal eine Bitte. Vervollständige bitte diesen Satz. St. Pauli ist für mich…

…mittlerweile wie eine zweite Familie. Ich komme jeden Tag gerne her. Die Spieler sind zwar nicht wie meine Kinder, aber ähnlich betreuungsintensiv (lacht). Nach so einer langen Zeit ist es nicht einfach ein Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis, sondern etwas Besonderes.

Warum war diese Verlängerung aus Deiner Sicht ein, Achtung Neu-Deutsch, "No Brainer"?

Das war es ehrlich gesagt gar nicht (schmunzelt). Ich habe mir schon viele Gedanken darüber gemacht, wie es für mich persönlich weitergehen soll und wie für den Verein. Das sind Themen, mit denen man sich grundsätzlich und nicht nur bei einem auslaufenden Vertrag auseinandersetzt. Was hat man selbst für Ziele und wo möchte man hin? Wie geht’s einem selbst und wie der Familie? Es fließen viele Sachen mit rein, trotzdem war für mich relativ schnell klar, dass ich meine nächsten Schritte auf jeden Fall hier beim FC St. Pauli sehe und diese zusammen mit dem Verein gehen möchte. Sowohl der Verein als auch ich sind sehr ambitioniert und haben Lust, das Projekt auf und neben dem Platz voranzutreiben. Gerade in der Kombination mit Andreas Bornemann passt es richtig gut. Was mich und meinen Vertrag angeht, habe ich jetzt Ruhe und Klarheit geschafft, und kann mich voll auf das Spiel gegen Aue und die weiteren Partien konzentrieren.

Du hast den FCSP im sportlichen Bereich auf fast jeder Ebene gesehen. Daher die Frage: Was zeichnet den Verein aus Deiner Sicht aus und in welchen Bereichen siehst Du noch Entwicklungspotenzial?

Den Verein als Ganzes zeichnet eben dieser Zusammenhalt aus. Es ist schon immer so gewesen, seitdem ich hier bin, egal ob du durchs Viertel gehst, an Spieltagen im Stadion bist oder dich auf der Geschäftsstelle oder hier an der Kollau aufhältst. Es ist immer sehr familiär, auch in schwierigen Zeiten hält man zueinander. Es ist wichtig, dass man natürlich kritisch miteinander umgeht, im Grunde genommen aber weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann. Das kann man vom großen Ganzen behaupten, das sollte aber auch speziell bei uns als Fußballmannschaft gelten. Die Spieler sollen wissen, dass ein Trainer da ist, der auch mal den Finger in die Wunde legen muss, der auch mal kritisch ist und schlechte Laune hat, der aber auch viel lobt. Am Ende muss man aber wissen, dass man sich aufeinander verlassen kann. Das ist ein Merkmal von uns. Entwicklungspotenzial sehe ich bei der Profimannschaft, da müssen wir es hinbekommen, noch professionellere Bedingungen zu schaffen. Allein in der Zeit, die ich hier bin, sind wir extreme Schritte gegangen und haben inhaltlich sehr viel angestoßen, was nicht normal ist, wenn man diverse Themen und Projekt rund um eine Mannschaft angehen möchte. Wir sind gerade bei Andreas Bornemann immer wieder auf offene Ohren und sehr viel Zustimmung gestoßen. Dementsprechend können wir fast alles, was wir uns vornehmen, auch umsetzen. Alles natürlich immer im Rahmen der Möglichkeiten des FC St. Pauli.

Wann hast Du gemerkt, dass du ans Millerntor gehörst? Und woran hast Du das gemerkt?

Gerade in der Zeit in der dritten Liga, als ich noch Spieler war, war es eine besondere Zeit. Mit dem alten Stadion und einer halben Insolvenz im Nacken. Ein kleiner, enger Kreis hatte den Laden damals noch am Laufen gehalten. In der Zeit hatten wir in der ganzen Mannschaft eine sehr hohe Identität mit dem Verein. Das war auch unsere größte Stärke und Faustpfand. Es ist eine Beziehung zwischen den Fans und der damaligen Mannschaft entstanden, die uns erst einmal ins DFB-Pokal-Halbfinale getrieben hat, ehe die beiden Aufstiege mit einem Kern von 15, 16 Spielern folgten. Es war eine ganz besondere Zeit, aus der die besondere Beziehung zum Verein herrührt.

Cheftrainer Timo Schultz vor einer Wand mit dem Totenkopf-Wappen.

Blicken wir doch einmal kurz zurück. Was waren Deine schönsten Erlebnisse auf und neben dem Platz? Es gab viele, vielleicht kannst Du drei Erlebnisse rauspicken.

Als Spieler war es sicherlich die B-Serie im DFB-Pokal. Es waren besondere Spiele. Das 4:0 gegen bis dahin ungeschlagene Bochumer denke, die wilde Schlammschlacht gegen Hertha und das legendäre Eis-Spiel gegen Werder. Eine coole Zeit mit wahnsinnig viel Emotionen. Und das alles in dem alten Stadion mit einer ganz eigenen Atmosphäre. Wenn ich heute daran zurückdenke oder mit Leuten spreche, bekomme ich noch immer eine Gänsehaut. Als Jugendtrainer war das Jahr mit der U19 und dem 2000er-Jahrgang ein ganz, ganz tolles Jahr. Da habe ich viel gelernt, nachdem ich zuvor meinen Fußballlehrer gemacht hatte. All das, was ich gelernt und mir zurechtgelegt hatte, konnte ich anwenden. Das Jahr hat mich als Trainer noch mal weiter nach vorne gebracht. Ich konnte mich weiterentwickeln und schauen, was klappt und was nicht. In der jüngeren Vergangenheit ist das ganze Jahr 2021 zu sehen. Da fällt es schon schwer, einzelne Höhepunkte konkret zu benennen.

Bevor man ein Amt übernimmt, hat man ja immer gewisse Vorstellungen, Erwartungen und auch Hoffnungen. Wenn Du Dich an die Zeit vor Deiner ersten Unterschrift als Cheftrainer der Lizenzmannschaft bei uns zurückerinnerst und die bisherige Zeit Revue passieren lässt, inwiefern passen diese Vorstellungen, Erwartungen und Hoffnungen zu den Erfahrungen, die Du bisher machen konntest?

Es ist eigentlich schon sehr konkret das eingetroffen, was ich mir ausmalen konnte. Ich war hier jahrelang Co-Trainer, kenne den Verein, das Stadion, die Fans und auch die Presse. Ich hätte gerne auf die Erfahrung der ersten 15, 16 Spiele verzichtet, aber auch das gehört dazu. Mir war immer bewusst, dass solche Phasen kommen werden und man mehrere Spiele hintereinander nicht gewinnt und man tabellarisch in Gefilden unterwegs ist, die man nicht so gerne hat. Darauf war ich aber vorbereitet. Ich hatte einen sehr konkreten Plan, den wir als Trainerteam, aber auch als ganzes Funktionsteam, mit Andreas Bornemann und Oke Göttlich an der Spitze, angegangen sind. Wir waren davon überzeugt und immer zuversichtlich, dass unser Plan greifen wird. Dass es so holprig beginnen würde, hatten wir nicht gedacht und nicht gehofft. Dass es jetzt dann wiederum auch aber so gut läuft, davon konnte man dann auch nicht ausgehen. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein gelassener und rationell denkender Mensch bin. Als wir tabellarisch nicht so gut dastanden, war auch nicht alles schlecht. Jetzt stehen wir oben in der Tabelle und haben viele Punkte geholt, trotzdem sehe ich im täglichen Miteinander, am Wochenende auf dem Platz und bei der Infrastruktur ganz viele Sachen, wo ich genau weiß, dass wir uns da noch steigern müssen. Jetzt, wo die Frage, ob und wann Dein Vertrag verlängert wird, vom Tisch ist, kann der Blick nach vorne gerichtet werden.

Was sind die nächsten wichtigen Akzente, die Du in den kommenden Wochen mit den Jungs setzen möchtest?

Für uns geht mit dem Spiel gegen Aue der Liga-Alltag wieder los, dann folgt das Bonbon mit dem Pokalspiel gegen Borussia Dortmund. Wir tun ganz gut daran, dass wir unseren Fokus von Spiel zu Spiel legen und zusehen, dass die Jungs im bestmöglichen Zustand sind – sowohl mental als auch physisch. Das ist unsere Hauptaufgabe in den kommenden Wochen. Die Saison ist noch lang, da werden noch einige Brocken aus dem Weg zu räumen sein. Dafür brauchen wir all unsere Energie. On top habe ich natürlich noch ganz viele Ideen, wie wir uns weiterentwickeln können und wo wir noch Stellschrauben haben, an denen wir drehen können. Da bin und war ich mit Andreas Bornemann permanent im Austausch – völlig unabhängig davon, dass ich zuletzt einen auslaufenden Vertrag hatte. Wir sprechen täglich darüber, wo wir noch etwas machen und wie wir konzeptionell noch etwas verändern können. Wir wollen hier auf keinen Fall Stillstand haben.

Worauf kommt es in den kommenden Wochen und Monaten an?

Auch wenn Rückschläge kommen, und die werden kommen, müssen wir bei uns bleiben und immer wieder konstruktiv aufs nächste Spiel gehen, Spiele gewinnen wollen und unsere Spielfreude beibehalten. Wir wollen weiter das verkörpern, was uns in der Hinrunde stark gemacht hat, und an den Themen arbeiten, bei denen wir anfällig waren.

 

(lf/hb)

Fotos: FC St. Pauli

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