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"Wir müssen daran arbeiten, dass die Vorurteile und Stereotypen entkräftet werden"

David Lebuser ist St. Pauli-Fan und bei vielen Heimspielen auf der Haupttribüne zu finden. Zum barrierefreien Spieltag gegen Ingolstadt sprachen wir mit ihm über Barrierefreiheit, die Situation beim FC St. Pauli und Möglichkeiten, wie man Barrieren abbauen kann.

Moin David, wir möchten heute mit Dir über Barrierefreiheit sprechen. Doch bevor wir das tun, stelle Dich gerne einmal kurz vor.

Ich bin David und bin Rollstuhlfahrer. Durch einen Unfall vor 13 Jahren habe ich einen Querschnitt bekommen. Sport war für mich ein wichtiger Aspekt, um wieder Spaß am Leben und Hoffnung zu haben. Gleichzeitig auch, um den Rollstuhl kennenzulernen. Und vor allem den Skatepark habe ich für mich entdeckt. Seitdem bin ich dort mit meinem Rollstuhl unterwegs und versuche Tricks zu machen. Und mittlerweile teile ich das dann auch mit anderen. Vor allem mit Kindern und Jugendlichen, damit auch sie ein neues Gefühl für den Rollstuhl entwickeln und sie sich in ihrem Rollstuhl sicher bewegen.

Wie bist Du zum FC St. Pauli gekommen?

Ich bin durch meine Mutter zum FCSP gekommen. Sie hatte eigentlich mit Fußball gar nichts anfangen können, ist dann aber nach Hamburg gezogen. Durch meinen Unfall hatte sie eine schwere Zeit und einer ihrer Arbeitskollegen hat sie mit zu St. Pauli genommen, damit sie auf andere Gedanken kommt. Seitdem ist sie immer zu den Spielen gegangen. Mittlerweile setzt sie Prioritäten und geht eher zu den Spielen der FCSP-Frauen-Teams. Bei meinen Besuchen habe ich festgestellt, dass die Menschen hier ganz anders sind. Ich kann sein, wer ich bin und ich fühle mich unter den Fans viel wohler als in anderen Stadien.

Wo findet man Dich im Stadion?

Wenn ich ein Ticket bekomme, dann bin ich auf der Haupttribüne bei den Rollstuhlplätzen. Und das hat seine Vor- und Nachteile. Man ist zwar nah am Spielfeld, aber der Nachteil, zumindest für mich, ist, dass ich nicht unbedingt bei den Leuten bin, die ich kenne und mit denen ich sonst vielleicht abhänge und die vielleicht auch ein bisschen mehr Stimmung machen bzw. eben eher die Art von Stimmung machen, wie ich sie mir vorstellen würde. Ich möchte keinen für sein persönliches Stadionerlebnis kritisieren, aber es ist schade, dass ich mir nicht aussuchen kann, welches Erlebnis ich bevorzuge.

Das ist dann auch eine gute Überleitung zur nächsten Frage. Was ist für Dich Barrierefreiheit?

Barrierefrei bedeutet für mich, möglichst selbstständig und selbstbestimmt teilhaben zu können. In meinen Fall sind physische Barrieren wie Stufen oder Treppen oder zu steile Rampen ein Problem. Auch zu enge Türen und nicht behindertengerechte Toiletten zählen dazu. Auf der Haupttribüne ist das alles in Ordnung, leider aber auf anderen Tribünen noch nicht. Auf der Haupttribüne ist das alles so weit in Ordnung, bis auf die zu steilen Rampen zu den Plätzen. Da verschütte ich dann schon mal mein Bier oder ich brauch eben Hilfe. Leider sieht das aber auf den anderen Tribünen noch schlimmer aus.

Wie würdest Du den Stand der Barrierefreiheit beim FC St. Pauli beschreiben?

Ich glaube, als das Stadion neu gebaut wurde, waren die Maßnahmen der Barrierefreiheit Stand der Dinge und Konsens. Die Tribünen in sich sind alle so komplett anders, da ist es sehr schwer eine einheitliche und barrierefreie Lösung herbeizuführen und einen barrierefreien Zugang auf allen Tribünen zu schaffen

Wie ist es im Vergleich zu anderen Vereinen in der Bundesliga?

Grundsätzlich gibt es hier keine großen Unterschiede. In der Regel gibt es einen Rollstuhlbereich in den Stadien. Dort sind dann Heim- und auch Gästefans untergebracht. Je nach Stadion ist man dann näher oder weiter weg von seinen Leuten auf den Tribünen oder von den Fans, die richtig Stimmung machen im Stadion. Darüber hinaus habe ich als Auswärtsfan die Erfahrung gemacht, dass man sich dann in der Regel freut, wenn sich um einen herum dann kaum ein anderer Mensch freut und umgekehrt. Das kann auch dann eine Art Spießrutenlauf sein. Gerade dann, wenn sich die Fanlager nicht mögen. Ich finde es ärgerlich, dass man als Rollstuhl-Fan des Gäste-Teams in die Heimkurve muss. Das ist bei einer sonst strikten Trennung nicht nachvollziehbar und kommt von der Erwartung, dass die Menschen mit Behinderung keiner Fliege was zuleide tun. Natürlich will ich keinem was tun, aber hier macht man Unterschiede, die man eigentlich nicht machen sollte. Generell würde ich einfach gerne bei den Leuten sitzen, die für die gleiche Mannschaft jubeln

Woran liegt es, dass Menschen mit Behinderung anders angesehen werden?

Diese grundsätzliche niedrige Erwartungshaltung gegenüber Menschen mit Behinderung fußt sehr stark auf Vorurteilen und veralteten Stereotypen. In Deutschland ist es besonders stark, weil man sehr separiert aufwächst. Kinder mit Behinderung gehen oftmals auf andere Schulen. Es finden kaum Begegnungen statt. So kannst du nicht lernen, dass Menschen mit Behinderung die gleichen Sachen machen wie jeder andere auch. Wenn du es als Kind oder Jugendliche*r nicht lernst, dann als Erwachsene erst recht nicht. Das ist dadurch sehr gefestigt und ändert sich nicht wirklich. Aber dank der Tatsache, dass Menschen mit Behinderung immer sichtbarer werden und das Thema Inklusion in den Medien und den Nachrichten, sowie in der Politik auch Erwähnung findet - wenn auch noch nicht häufig genug, ist nun die richtige Zeit für Veränderung gekommen. Es ist aber ein langwieriger Prozess.

Was sind die entscheidenden Punkte, damit sich das ändert?

Wir müssen daran arbeiten, dass die Vorurteile und Stereotypen entkräftet werden. Das geht am besten durch Begegnungen, also indem wir Menschen zusammenbringen. Die Schule ist hier das beste Beispiel. Wenn Kinder zusammen aufwachsen, dann haben sie ein ganz anderes Verhältnis zueinander und sie kennen dann andere Menschen mit Behinderung. Dadurch wird es halt auch später viel einfacher sein, weil man eben damit aufgewachsen ist. Man kann und muss aber auch an anderer Stelle dafür sorgen, dass sich Menschen begegnen und dass Menschen mit Behinderung teilhaben können. Ich nehme mal an, dass es ganz viele Menschen auf den anderen Tribünen gibt, die mit den Rollstuhlfahrer*innen von der Haupttribüne noch nie in Berührung kamen. Auf der Gegengerade gibt es einen Aufzug, mit dem man auf die Tribünenebene kommen würde, dort könnte man bestimmt ein paar Rollstuhlplätze schaffen. Dafür braucht es dann etwas Mut und den Willen zur Veränderung. Aber natürlich kenne ich nicht alle Aspekte, die da hinten dranhängen. Denkt man das aber zu Ende und Rollstuhlfahrer*innen könnten auch dort das Spiel verfolgen, hätte man ganz andere Möglichkeiten der Begegnung geschaffen. Menschen könnten mit einer größeren Gruppe ins Stadion gehen und nicht mehr mit nur einer Begleitperson. Natürlich gibt es noch andere Möglichkeiten, sich zu begegnen, wie zum Beispiel den Fanladen oder die Fanräume nach den Spielen. Es ist barrierefrei und ich versuche nach den Partien immer, noch rüberzufahren und mit den Leuten abzuhängen. Wenn du aber keine Leute von den anderen Tribünen kennst, fährst du auch da in der Regel nicht rüber. Auch hier ist das Grundproblem, dass man sich nach Toren und Siegen nicht mit anderen Menschen abklatschen und in den Armen liegen kann.

Was kann jeder von uns tun, damit Inklusion und Teilhabe gelingt?

Natürlich kann jeder Mensch bei sich anfangen und daran arbeiten, seine Vorurteile abzubauen. Das geht auch, indem man in den sozialen Medien Menschen mit Behinderung folgt und ihnen zuhört, was sie zu sagen haben zu den Themen Teilhabe, Inklusion und Ableismus. Vielleicht können auch so Berührungsängste abgebaut werden und gelernt werden, wie man Menschen mit Behinderung im Alltag anspricht. Selbstverständlich spricht man Menschen mit Behinderung so an wie jeden Menschen. Doch durch die Berührungsängste tut man es dann doch nicht, auch aufgrund einer unterbewussten Angst, etwas Falsches zu sagen. Das habe ich als sensibilisierter Mensch bei blinden oder gehörlosen Menschen auch und das ist in meinen Augen verständlich. Deswegen kann da nur jeder selbst versuchen, sich zu informieren und sich dann einfach zu trauen. Am Ende ist es wie bei jedem anderen auch und kommt dann auf die zwischenmenschliche Chemie an, die passt oder eben auch nicht. Wichtig ist nur, dass die erste Frage nicht gleich die Behinderung eines Menschen thematisiert, weil das etwas sehr intimes sein kann. Sondern beispielsweise wie die Person das letzte Spiel am Millerntor erlebt hat.

Sprechen wir mal über Dein persönliches Projekt. Worum geht es dabei?

Mit dem Projekt "SIT’N’SKATE" möchte ich meinen Sport und mein Hobby, das Skaten im Rollstuhl, mit anderen teilen. Vor allem mit Kindern und Jugendlichen, aber auch mit älteren Rollstuhlfahrer*innen. Es geht nicht nur um Tricks und Sport, sondern auch um ein spielerisches Lernen, mit dem Rollstuhl umzugehen. Dadurch wird man im Alltag sicherer, selbstbewusster und mobiler. Diese Mobilität ermöglicht mehr Teilhabe und schafft wiederum Sichtbarkeit. Je mehr Rollstuhlfahrer*innen aktiv am Leben teilhaben und sichtbar sind, desto eher schafft man inklusive Begegnungen. Mit unserem Projekt generieren wir auch coole und spannende Bilder von Menschen im Rollstuhl und zeigen damit, dass die geringe Erwartungshaltung nicht passt. Auch Rollstuhlfahrer*innen sind sehr individuell und haben verschiedene Talente. Sie sind genauso bunt und individuell wie unsere Gesellschaft und das wollen wir vermitteln.

Was wünscht Du Dir für die Zukunft?
In Bezug auf den FC St. Pauli wünsche ich mir, dass wir es schaffen, Angebote im Stadion so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung auch in anderen Teilen des Stadions teilhaben können. Darüber hinaus wünsche ich mir, dass wir weiterhin so ein toller Verein bleiben, bei dem wir uns füreinander einsetzen und solidarisch sind. Deswegen hoffe ich, dass das Projekt "Klartext St. Pauli" noch mehr Fans erreicht und für die Menschen für die Belange von Menschen mit Behinderung sensibilisiert.

Vielen Dank für das Gespräch, David!

 

(lf)

Foto: FC St. Pauli

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